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Kulinarisches Karussell in München – Zeit, dass sich was dreht

Es brodelt in Münchens Spitzengastronomie: Drei-Sternekoch Jan Hartwig verlässt das Atelier, das Tantris wird zum Maison Culinaire mit zwei Restaurants und Bar und Promikoch Alfons Schuhbeck meldete laut eigener Aussage coronabedingte Insolvenz an. Ein Überblick über eine Szene im Wandel.

Oben im Bild: Jan Hartwig, Eckart Witzigmann und Matthias Hahn (v.li.) in der Küche des Gourmetrestaurants Ikarus im Salzburger Hangar-7

2014 war er verpflichtet worden, um das Restaurant Atelier im Bayrischen Hof gewissermaßen auf Vordermann zu bringen. Diese Aufgabe hatte Jan Hartwig spätestens 2017 mit Bravour erledigt, als der Guide Michelin dem Restaurant drei Sterne verliehen hatte. Hartwig, der zuvor als Sous Chef in Sven Elverfelds Drei-Sterner Aqua in Wolfsburg wirkte, holte damit die höchste Michelin-Auszeichnung wieder nach München. Endlich, 23 lange Jahre nach Eckart Witzigmann (Aubergine) und Heinz Winkler (Tantris). Im Herbst ist damit nun zunächst Schluss: Hartwig plant nach eigener Aussage, seinen lange gehegten Traum der Selbständigkeit endlich in die Tat umzusetzen. Immerhin – und das wird die Münchner Gourmets und die kulinarisch interessierten Touristen, die die bayrische Landeshauptstadt zahlreich besuchen, freuen – bleibt Hartwig dafür in München. Eine kreative Pause will er dennoch einlegen, schließlich sei ihm wichtig, sich „mit freiem Kopf ganz auf die neue berufliche Zukunft vorzubereiten und eine geeignete Location zu finden. Meiner Philosophie und Küchenlinie werde ich aber auf jeden Fall treu bleiben“, wie er am gestrigen Montag mitteilte.

Bayrische Forelle mit Linsen, Kräutern, Champignons und Molke – ein Gericht von Jan Hartwig, serviert im Ikarus im Hangar-7 zu Ehren von Eckart Witzigmanns 80. Geburtstag

Corona-Opfer Schuhbeck

Für ein Beben mittlerer Stärke sorgte auch die nun bekanntgewordene Insolvenz von TV-Koch und „Platzlhirsch“ Alfons Schuhbeck. Während diesbezüglich reichlich Theorien und auch Gerüchte hinsichtlich früherer Probleme mit dem Fiskus und eines noch immer laufenden Steuerstrafverfahrens kursieren, zwang die Corona-Krise laut Schuhbeck selbst seine Gastronomiebetriebe nun in die Knie: „Nachdem die vollmundig angekündigten Staatshilfen bei mir bis heute ausgeblieben sind, muss ich für meine Betriebe Insolvenz anmelden“, so Schuhbeck in einer schriftlichen Stellungnahme. Zwar bleiben seine Betriebe (das Restaurant Orlando und die Südtiroler Stuben) vorerst geöffnet, ein radikaler Neuanfang ist aber unausweichlich. Und so wird sich das kulinarische Erscheinungsbild am Platzl in Münchens Altstadt, Heimat von Schuhbecks in Schieflage geratenem Gastro-Imperium, wohl bald wandeln müssen.

Tantris – Die Evolution einer Restaurant-Legende

Für positive Schlagzeilen mit frischem Konzept (wir berichteten) sorgte zuletzt dagegen die Münchner Restaurant-Legende Tantris, nachdem Spitzenkoch Hans Haas nach 29 Jahren – immer mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet – seinen Abschied in den Ruhestand bekanntgegeben hatte. Während Eckart Witzigmann Anfang der 1970er Jahre von hier aus die Restaurantlandschaft Deutschlands nachhaltig revolutionierte und die Haute Cuisine nach Deutschland brachte, erfindet sich das Tantris in seinem 50. Jahr nun gewissermaßen neu. Vielversprechend, schließlich sollen das Menü-Restaurant Tantris, das neue À-la-carte-Restaurant Tantris DNA und die neue Tantris Bar unter dem Dach des denkmalgeschützten Baus von Julius Dahinden in Schwabing vereint werden. Matthias Hahn, lange Jahre für Alain Ducasse in Paris tätig, wird Executive Chef. Er koordiniert sämtliche Outlets und deren Teams um die zukünftigen Küchenchefs Benjamin Chmura (Restaurant Tantris) und Virginie Protat (Tantris DNA) in diesem neuen Maison Culinaire.

München
Benjamin Chmura, Virginie Protat und Matthias Hahn vor dem Tantris ( v. li)

Tohru Nakamura – Mit dem Salon Rouge zu neuen Ufern

Bereits im vergangenen Jahr musste der vom Gault Millau noch zum Koch des Jahres gekürte Tohru Nakamura den Werneckhof by Geisel in Schwabing verlassen. Pandemiebedingt war hier an ein Weitermachen wie zuvor nicht mehr zu denken – und das, obwohl das Restaurant dank Nakamuras Auszeichnung in aller Munde und „schon bis zum Ende des Jahres 2020 ausgebucht war“, wie Tohru Nakamura uns beim Rheingau Gourmet und Wein Festival im Februar 2020 noch versichert hatte. Nakamura, der unter anderem unter Martin Fauster im Königshof gelernt hat – das Sterne-Restaurant wurde aufgrund des derzeitigen Umbaus des gleichnamigen Hotels am Karlsplatz ebenfalls dauerhaft geschlossen – hat aber einige heiße Eisen im Feuer. So eröffnete er noch im vergangenen Sommer sein Pop-up-Restaurant Salon Rouge in der Münchner Stadtschreiberei bis zum erneuten Lockdown im November, betrieb von dort aus seither einen Street Food-Imbiss, um sein Team über Wasser zu halten.

Tohru Nakamura

Im Herbst 2021 wird Tohru Nakamura mit der „Schreiberei“ nun wieder in Münchens Altstadt zurückkehren. Diesmal dauerhaft und sicher auch mit Ambitionen in Sachen Michelin-Sterne. Dafür wird die denkmalgeschützte Stadtschreiberei derzeit aufwendig renoviert und umgebaut, um den beiden geplanten kulinarischen Konzepten – unten Brasserie, oben Fine Dining – den gebührenden Rahmen geben zu können. Bis dahin verdingt sich Nakamura erneut in einer Pop-Up-Version des Salon Rouge im Münchner Werksviertel, besucht aktuell auf kulinarischer Rundreise namens „Tohru on Tour“ Kollegen auf Sylt und Ibiza und steuerte Gerichte zum Geburtstagsmenü zu Ehren von Eckart Witzigmann im Salzburger Gourmet-Restaurant Ikarus bei, wo sich mit Jan Hartwig, Martin Fauster und Matthias Hahn im Übrigen auch weitere aktuelle und ehemalige Protagonisten der Münchner Spitzengastronomie zum 80. Jubiläum des Jahrhundertkochs einfanden.

Das kulinarische Karussell dreht sich weiter

Und so schließt sich der Kreis und das kulinarische Karussell Münchens dreht sich weiter. So wie damals schon, als „Revoluzzer“ Witzigmann beim Einkauf auf dem Viktualienmarkt noch schräg angeschaut wurde. Manch eine der Verkäuferinnen hielt den späteren Drei-Sternekoch – der erste überhaupt außerhalb Frankreichs – damals noch für einen „G´spinnerten“, der mit dem ungenießbaren Kraut Estragon kochte: „Ich habe in den 70ern Bärlauch im Englischen Garten gepflückt und im Tantris einen Kräutergarten angelegt, weil ich keinen Estragon auf dem Markt bekommen habe – das galt ja geradezu als „giftig“ damals“, sagte der „Koch der Könige und Götter“ (New York Times) vor einigen Jahren im Interview mit newfoodcity.de.

Wo geht die kulinarische Reise in München hin?“ – scheint sich auch Eckart Witzigmann zu fragen

Nun geht wieder ein Ruck durch die kulinarische Landschaft Münchens. Es bleibt also spannend und die aktuellen Entwicklungen in Münchens Gastroszene sind trotz und wegen der Corona-Krise Chance und Herausforderung zugleich. So will das Tantris mit frischem Wind auch in den kommenden 50 Jahren kulinarische Einflüsse geltend machen, den vergleichsweise jungen Spitzenköchen Jan Hartwig und Tohru Nakamura winkt aufgrund ihres Fleißes und Talents ohnehin eine große Zukunft und auch Alfons Schuhbeck glaubt, letztlich wieder auf die Beine zu kommen. Er fürchtet aber, dass es seine 50 Mitarbeiter härter treffen wird. Das verwundert aber auch nicht unbedingt, schließlich haben diese weder einen Gewürzhandel, noch TV- oder Bayern München-Engagements vorzuweisen und in der Vergangenheit auch keine lukrativen Werbedeals mit Fastfood-Ketten abschließen können.

Besuchen Sie Restaurants!

Und gerade weil diese Situation der Münchner Spitzengastronomie und anderswo nur eine Momentaufnahme ist und sein kann und zahlreiche, nicht erwähnte Spitzenrestaurants, vor allem aber auch unbekanntere Lokale und ihre Mitarbeiter noch härter von der Pandemie, den Lockdowns und deren Folgen betroffen sind, möchten wir an dieser Stelle noch eine eigene Meinung loswerden, wenn Sie gestatten: Achten Sie auf Ihre Gesundheit und die Ihrer Mitmenschen, aber gehen Sie wieder essen. Besuchen Sie die kleinen Restaurants (und auch Hotels) in Ihrer Umgebung. Besuchen Sie auch diejenigen die laut Guide Michelin einen Stopp, einen Umweg oder sogar eine Reise wert sind – entsprechend der Kategorisierung des Restaurantführers von einem bis zu drei Michelin-Sternen – und genießen Sie das kulinarische Miteinander. Geimpft geht das im Übrigen alles viel leichter.

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Bilder: ©Helge Kirchberger Photography / Red Bull Hangar-7; Tantris; Derk Hoberg