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Wer hat an der Uhr gedreht?

Luxuriöse Armbanduhren sind en vogue. Das belegen die Exportstatistiken der Schweizer Uhrenindustrie. 2022 war das beste Jahr in deren Geschichte. Und 2023 startete nicht minder verheißungsvoll. Das erste Großereignis, die Uhrenmesse Watches & Wonders ging vom 27. März bis 2. April im Genfer Messezentrum über die Bühne. Nach dem Aus und Vorbei für die legendäre Baselworld und dem Abklingen der Corona-Pandemie sah sich die Uhrenbranche gefordert. Jede Menge Handlungsspielraum bescherte in diesem Zusammenhang das Ende des Genfer Automobilsalons, der im Palexpo terminlich stets die erste Geige spielte. Zum besseren Verständnis des Wirrwarrs rund um die Schweizer Uhrenmessen erfordert es in diesem Zusammenhang einen kurzen Rückblick:

Text: Gisbert Brunner | Bilder: ©Industrie

1987 blieben damals noch unter dem Dach des Swatch-Group-Vorgängers SMH (Société Suisse de Microélectronique et d’horlogerie) versammelte Marken wie Omega, Longines, Tissot, Rado oder Swatch erstmals der Basler Messe fern. Vier Jahre später, 1991, zogen Baume & Mercier, Cartier, Piaget, Gerald Genta und Daniel Roth aus der Stadt am Rhein nach Genf, wo erstmals der elitäre Salon International de la Haute Horlogerie (SIHH) stattfand. Dieser spektakuläre Auszug bedeutete für Basel einen weiteren Tiefschlag. Ab 1993 kehrte die SHM-Gruppe wegen des frei gewordenen Platzes sukzessive zurück. Ein weiteres Desaster erfolgte 1999 mit dem „Adieu“ von Audemars Piguet, Breguet (damals noch Investcorp) und – erstmals – Girard-Perregaux. 2000 gaben IWC, Jaeger-LeCoultre sowie A. Lange & Söhne in Basel ihre Abschiedsvorstellung. Damit mauserte sich der SIHH, dessen Terminierung immer vom Autosalon abhing, zu einer namhaften Konkurrenzveranstaltung. Ab 2013 machte speziell in Asien die von der Fondation de la Haute Horlogerie (FHH) veranstaltete Watches & Wonders von sich reden. Dort präsentierten in erster Linie die Marken des Richemont-Konzerns ihre luxuriösen Produkte.

Den Anfang vom Ende der Baselworld bedeutete die erneute, am 30. Juli 2018 gegenüber dem amerikanischen Nachrichtensender CNBC verkündete Demission der Swatch Group ab dem Jahr 2019. „Wenn Sie ein Messe-Management haben“, betonte CEO Nick Hayek, „das glaubt, die teilnehmenden Marken sind nur zum Bezahlen da und haben nichts zu sagen, dann ist es auch ein Grund zu gehen.“

Zu diesem Zeitpunkt gärte es auch bei anderen Stamm-Ausstellern schon mächtig. Arroganz, überzogene Preisvorstellungen, mangelnde Kundenorientierung, überholtes Messekonzept und fehlende Visionen nährten Zweifel am Verbleib in Basel. 2020 scheiterte die Ausrichtung der Messen in Basel und Genf am grassierenden Coronavirus. Die Abrechnung der ausgefallenen Baselworld 2020, der unstimmige Ersatztermin vom 28. Januar bis 2. Februar und das Fehlen eines schlüssigen Konzepts gaben 2021 den Ausschlag, dass sich renommierte Schlüsselmarken wie Patek Philippe, Rolex, Tudor, Breitling, Chanel, Chopard, Hublot, Zenith und TAG Heuer definitiv von der Baselworld verabschiedeten. Ohne diese zugkräftigen Publikumsmagneten hatte die ehedem weltweit bedeutendste Uhren- und Schmuckmesse definitiv keine Zukunftsperspektive mehr. Intensive Verhandlungen führten dazu, dass der SIHH ab 2022 eine Umbenennung in „Watches & Wonders“ erfuhr, zeitlich an die Stelle des Genfer Autosalons treten konnte und so mit allen Richemont-Marken, dazu unter anderem Chanel, Chopard, Grand Seiko, Hublot, Patek Philippe, Rolex, TAG Heuer, Tudor und Zenith zum bedeutendsten Event seiner Art avancierte.

Auch 2023 blieben die ersten fünf Tage den akkreditierten Fachbesuchern vorbehalten. Am Samstag und Sonntag durften sich registrierte und zahlende Gäste ansehen, was es an schmückenden und tickenden Neuigkeiten fürs Handgelenk gibt. Nicht vertreten waren wiederum die Swatch Group und auch Breitling. Beide betrachten die klassischen Messeformate als überholt und zeigen ihre Produkte im Rahmen eigener Veranstaltungen oder Roadshows. Dazu Breitling CEO Georges Kern: „Wir sind damals von Basel weggegangen, weil uns die Messen keinen wirklichen Nutzen mehr brachten, und dabei sehr teuer waren. Das Investment von fünf Millionen für einen Messeauftritt kann man anderweitig kosteneffizienter nutzen.“

Bei vielen der in Genf vorgestellten Neuheiten übersteigt die Nachfrage übrigens weiterhin das verfügbare Angebot.

Allerdings zeigen sich am Horizont da und dort schon vereinzelte Wolken. Kriegerische Auseinandersetzungen, die geopolitische Situation, Inflation sowie Banken- und Energiekrise zeigen auch in dieser erfolgsverwöhnten Branche ihre Spuren. Speziell im Einstiegssegment bis 2.000 Euro plagen viele Menschen derzeit andere Sorgen als die Beschäftigung mit dem Kauf eines neuen Zeitmessers fürs Handgelenk. Weniger betroffen sind hingegen Zeit-Genossinnen und -Genossen, die in der preislichen Upperclass zu wählen pflegen. Aber auch hier ist seit April 2022 ein Wandel zu konstatieren. Ganz massiv sinkt die Bereitschaft, am Parallelmarkt für die auf offiziellem Wege nur sehr schwer erhältliche Lieblingsuhr ein Mehrfaches des unverbindlichen Publikumspreises zu bezahlen. Und gegenwärtig sieht es auch nicht so aus, als ob sich daran rasch etwas ändern wird. Zu groß ist die Gefahr, bei weiterhin nachgebenden Graumarktpreisen am Ende einiges Geld zu verlieren. Ungeachtet dessen bleibt es spannend rund um die Armbanduhr. Schließlich ist sie für Männer das vermutlich wichtigste Schmuckstück. Und immer mehr Frauen wollen ihren chronometrischen Hedonismus ebenfalls unverhohlen zur Schau stellen.

 

 

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